Liebe Zwickauerinnen und Zwickauer,
Ich verhehle nicht meine große Enttäuschung über das Zwickauer Wahlergebnis. Zwar konnte Bündnis 90/Die Grünen auch hier Zugewinne verbuchen, doch verglichen mit dem bundesweiten Abschneiden bei der Europawahl sind sie gering. Es reichte lediglich zu 3 statt bisher 2 Sitzen im Rat. Viel schlimmer aber: Zwickau ist, wie andere sächsische Kommunen auch, weit nach rechts gerückt. Kann man das bei der Europawahl noch irgendwie mit bundespolitischen Themen erklären, wird es bei der Stadtratswahl völlig absurd. Mehr als 20% (11 Mandate) erhielt die AfD dafür, dass sie in der vergangenen Legislaturperiode nichts, aber auch gar nichts Konstruktives zur Ratsarbeit beitrug und im Wahlkampf als einzige Partei kein Programm für die Zukunft veröffentlichte. Da fragt man sich schon: Was ist mit dieser Stadt, mit diesem sächsischen Land los?
Es scheint, als seien Teile der Gesellschaft von einer schweren Seelenkrankheit ergriffen, die von eigener Unsicherheit, Enttäuschung, Ängsten und Hass genährt wird. Sie lässt Kräfte erstarken, die Gesundung durch Nationalismus, einfache Welterklärungsmuster und starke Führer versprechen. Das sind alte, aber wirkungsvolle Leimruten, an denen unruhige, verängstigte Herzen kleben bleiben.
Ich glaube, es sind nicht in erster Linie materielle Probleme, die die Populisten gegenwärtig so erfolgreich sein lassen. Es ist vielmehr ein Mangel an Geborgenheit, gefühlter Sicherheit und Orientierung in dieser hyperventilierenden Zeit. Vielleicht liegt hier auch der Ansatz, um dem Spuk wirksam zu begegnen. Politik muss die Lebenswirklichkeit und das Empfinden der einzelnen Menschen wieder stärker in den Blick nehmen. Und sie muss gangbare Wege in die Zukunft aufzeigen, die keine Angst machen. Beides ist nicht leicht, aber möglich.
Es wird Mühe kosten, Menschen, die sich einmal den Populisten zugewandt haben, wieder zurückzugewinnen. Herzen, die an deren Leimruten kleben, sind in Gefahr zu erkalten und schließlich abzusterben. Wenn letzteres geschieht werden die, die sie in sich tragen unerreichbar. Darum muss schnell gehandelt werden.
Wolfgang Rau